Hinter dem Pseudonym Os Gêmeos verbirgt sich ein besonderes Künstlerduo. Wie schon die Übersetzung des Künstlernamens ins Deutsche verrät, handelt es sich hierbei um Zwillinge. Geboren sind Gustavo und Otavio Pandolfo 1974 in São Paulo, Brasilien, und arbeiten laut eigener Angaben seit ihrer Geburt zusammen. Neuerdings wird aus dem Duo gelegentlich auch ein Trio, wenn Nina Pandolfo (Ehefrau von Otavio und selbst eine Urbanart-Künstlerin) bei einem gemeinsamen Projekt mitwirkt, dann nennen sie sich „Os Gêmeos & Nina“.
Ihr Studienlabor waren fortan die Straßen des traditionellen Viertels Cambuci (SP). Als Lehrmeister fungierten einerseits die Invasion der Hip-Hop-Bewegung aus USA und auf der anderen aber die folkloristische wie die zeitgenössische Kultur Brasiliens. Unter diesen Einflussquellen aus Musik, traditioneller Volkskunst und Mythologie der brasilianischen Heimat verschmolzen mit Träumen und internationaler Jugendkultur begannen die Zwillinge ihre Graffiti-Kariere im Jahr 1987 und entwickelten schnell einen unverkennbaren künstlerischen Stil.
Os Gêmeos malten zunächst mit Pinseln, da ihnen die Mittel für Sprühdosen fehlten. Das Wesentliche betonen die Brüder, seien ihre Träume, welche die Grundlage für ihre symbolische Sprachvokabular als Künstler bieten. Mehr noch: die Träume könnten sie laut eigener Behauptungen als Zwillinge miteinander teilen. Diese dynamische und magische Welt wollen sie mit der Öffentlichkeit ebenfalls kommunizieren. Ihre Überzeugung, dass Begegnungen und Erfahrungen im Leben eine weitreichende Bedeutung haben, fließt in ihre kombinierte Bildsprache. Gepaart mit Improvisation und Verspieltheit, wird diese stets weiterentwickelt.
Ein erster Blick auf das Oeuvre von Os Gêmeos bezeugt, wie naheliegend Vergleiche mit Hieronymus Bosch, Max Ernst, Salvador Dali erscheinen. Charakteristika wie übergroße Gesichter und dünne, langgestreckte Gliedmaße ihrer gelbstichigen bis gelbhäutige Protagonisten wurden schnell zu ihrem Signature-Stil. Aber auch soziale und politische Parolen gehören zu den behandelten Themenkreisen. Die Künstler brachten ihre knallbunten Phantasiegebilde an die Menschen auf Straßenbahnen und Güterzügen, Bahntunneln sowie Wandgemälden von Fassaden, nicht zuletzt als Werke für den privaten Gebraucht oder für die Ausstellungsräume von Institutionen. Sie durften auch das Flugzeug der Seleção, eine der bedeutenden Mannschaften der Fußballnation Brasilien, gestalten.
Dass Os Gêmeos den Sprung in die etablierte Kunstwelt geschafft haben, bezeugen die zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen in Museen und Galerien in verschiedenen Ländern wie Kuba, Chile, den Vereinigten Staaten von Amerika, Italien, Spanien, England, Deutschland, Litauen und Japan. Ihr Name wird in der Urbanart-Szene neben denjenigen von Blek le Rat, Banksy, Shepard Fairey genannt, nicht nur wegen der hohen Preise, welche ihre Kunstwerke erzielen.
Sie selbst formulierten auf ihrer eigenen Internetseite einen möglichen Dechiffrierungsschlüssel für ihr Werk wie folgt: „Um die Arbeit von OSGEMEOS zu verstehen, ist es notwendig, die Vernunft durch das Imaginäre ersetzen zu lassen – durch die Türen zu gehen, um die Feinheiten in der Welt um uns herum zu erkennen und eine Erfahrung zu beginnen, die über das Visuelle hinausgeht: Zuerst zu fühlen und später zu verstehen.“
Das Werk in der Sammlung von Galerie Kronsbein ist ein typisches Beispiel entsprungen aus der Welt von Os Gêmeos. „On the other side“ bezeugt die Vorliebe des Duos für die Verwendung von Türen, Leinwänden und Spiegel als Träger ihrer Botschaften. Sie werden bemalt und in die Bildmetaphorik direkt übernommen. So haben ausrangierte Türen oder reflektierende Oberflächen eine weitere Bedeutung als Porte zu anderen Bereichen, gar zur menschlichen Psyche. Auf diese Weise wird der Betrachter in die surreale und chimäre Welt einbezogen.
